Saturday, 20 June 2015

Nordirland für Anfänger



Letztens habe ich irgendwo gelesen, dass die Insel Irland immer und ständig von Eindringlichen heimgesucht worden war; dass jedoch die Iren selbst sich mehr Schaden gegenseitig angetan haben, als alle diese Eindringlinge.

Das mag zweifelsohne auf die neuere Geschichte der Insel zutreffen.

Nordirland kennt man eigentlich nur aus den Schlagzeilen: als Schauplatz eines jahrelangen blutigen Bürgerkrieges zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Unionisten und Republikanern.

Ich kann mich noch gut daran erinnern wie ich kritisch belächelt wurde als ich damals in Deutschland in meinem Bekanntenkreis bekanntgab, dass ich jetzt in Nordirland lebe. Ich stieß auf völliges Unverständnis: wie kann man in einem so von Unruhe geplagten Land leben?

Um es vorweg zu nehmen, ich lebe gerne hier in diesem kleinen Land und fühle mich so als ob ich schon immer hier gelebt hätte. Aber bis zum heutigen Tage habe ich nicht richtig verstanden, weshalb sich die Menschen hier eigentlich ja schon seit Jahrhunderten immer gegenseitig bekriegt haben.

Es ist einfach den „Nordirlandkonflikt“, der vor allem von 1969 bis 1998 die Gesellschaft beherrschte, mit dem Label „ethnisch-konfessionelle“ Auseinandersetzung zu versehen. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit ist es nämlich noch komplizierter, denn innerhalb der einzelnen „großen“ konfessionellen Gruppierungen gibt es weitere, kleinere widerstreitende Gruppierungen sowie auch entsprechende politische Parteien.

In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde man sich immer mehr darüber einig, dass eine Lösung für den Dauerkonflikt gefunden werden musste. Das Problem war allerdings, die unterschiedlichen und völlig zerstrittenen konfessionellen Gruppen und politischen Parteien an einen Tisch zu bekommen und die Frage der paramilitärischen Aktionen zu klären. Hauptsächlich ging es darum, dass die IRA ihre Waffen niederlegte, was vor Beginn der Friedensgespräche stattfinden sollte. Demgegenüber beharrte die „Democratic Unionist Party“, DUP, auf ihrem Standpunkt, dass Nordirland ein Teil Britanniens sei, was nicht verhandelbar wäre. (Zur Erklärung: United Kingdom = Vereinigtes Königreich ist die richtige Bezeichnung. Das umfasst Groß Britannien und Nordirland. Großbritannien ist „nur“ England, Schottland und Wales.)
 

 Mitte des Jahres 1997 begannen jedoch ernsthafte Friedensverhandlungen und nach – wie man sich denken kann –zähen Verhandlungen erzielte man 1998 endlich eine Einigung. Am 10. April 1998 wurde in Belfast ein Abkommen von der Mehrheit der politischen Parteien Nordirlands unterzeichnet. Dieses Abkommen, da am Karfreitag unterschrieben, ist als das „Good Friday Agreement“ in die Geschichte eingegangen. Ein ganz wesentlicher Bestandteil des Abkommens ist unter anderem die Errichtung einer gesetzgebenden Versammlung in Nordirland. Das ist quasi das nordirische Parlament, Stormont genannt. Im Zusammenhang damit wurde ebenfalls festgelegt, dass alle größeren Parteien an der Bildung der nordirischen „Regierung“ beteiligt sind und zwar durch Ministerämter. Sehr vereinfacht ausgedrückt heißt das, dass Nordirland durch ein „Allparteiensystem“ vertreten ist. Erwähnt werden sollte auch noch, dass mit dem „Good Friday“ Abkommen, die britische Armee aus Nordirland abgezogen wurde, ein neuer Polizeiapparat aufgebaut wurde, politische Gefangene aus den Gefängnissen entlassen wurden und die paramilitärischen Organisationen ihre Waffen abgeben mussten.






 
Stormont: das Gebäude wurde 1921 gebaut, um das neue Parlament Nordirlands zu beherbergen. Am 16.11.1932 wurde es offiziell eingeweiht. 




Seit dem „Good Friday Agreement“ ist so etwas wie Frieden in Nordirland eingekehrt und an die blutigen Auseinandersetzungen, von denen es in der Geschichte Nordirlands sehr zahlreiche gab (die letzte war 1998 „Ormagh Bombing“ = 29 Tote, davon 9 Kinder) wird allenfalls noch im Museum erinnert.

Auch wenn immer noch einige unverbesserliche Splittergruppen versuchen, den Friedensprozess aufzuhalten und Bomben schmeißen, so ist doch die nordirische Bevölkerung heute soweit gefestigt, dass sie keine blutigen Auseinandersetzungen mehr will. Auch in politischer Hinsicht haben sich die „Feinde“ von einst, nämlich DUP und Sinn Fein, geeinigt und bilden seit einigen Jahren nun schon gemeinsam die „Regierung“ Nordirlands. Ian Paisley (im Sept. 2014 gestorben), ehemaliger First Minister (Ministerpräsident) und Martin McGuiness, Deputy First Minister (Vizeministerpräsident) hatte man so oft nebeneinander sitzend lachen gesehen, so dass die Presse den beiden den Namen „chuckle brothers“ (die Lachbrüder) gegeben hatte.
 


3 comments:

  1. Stimmt , auch ich bin dadurch erst richtig auf Irland aufmerksam geworden. Protestanten und Katholiken - Krieg! Es gibt auf der ganzen Welt immer mal zwischendurch Ausnahmezustände. Man sollte nicht nur alles negativ betrachten.
    Parteien, radikale Gruppen gibt es auch überall. Die Zeiten ändern sich und auch ich finde Deine Entscheidung in Irland zu Leben einfach nur beneidenswert.

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  2. Da ich mich mit der Republik besser auskenne, möchte ich dich bitten, meine Vermutung zu bestätigen oder zu widerlegen:

    Ist der Konflikt nicht nur vordergründig ein religiöser? Der Norden ist nicht zufällig der Teil des Landes, der um jeden Preis bei Großbritannien bleiben sollte. Dort ist die Industrie angesiedelt (eher war, aber als die Entscheidung fiel, war das der lukrative teil der Insel). Dort ist die Bevölkerung eher urbanisiert als ländlich, eher proletarisch als landwirtschaftlich geprägt. Und sie hatten das protestantische Arbeitsethos verinnerlicht, nach dem nur der zählte, der erfolgreich arbeitete. Also ideales Arbeitermaterial für die Reedereien. Und die waren mega-erfolgreich, sonst hätten sie nicht Pötte wie die Titanic auf Kiel legen dürfen. Also für mich eher wirtschaftliche Unterschiede.

    Die vielen Einwohner Schottlands, die den Schafherden der Landlords Platz machen mussten, waren ja über die ganze Insel verteilt (und katholisch, deswegen sollten sie ja nach den Stuarts weg). Die waren und blieben arm, mischten sich mit der ebenfalls armen katholischen Bevölkerung.

    Sehr verkürzt und thesenhaft, ich weiß. Aber auch zutreffend? Bitte um Aufklärung.
    (Du bist nun mal meine Autorität in puncto NI geworden!)

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    1. Biscuitty, ich kann das nicht nur in ein paar Sätzen "bestätigen". Sicherlich ist Vieles von dem, was du schreibst, historisch betrachtet zutreffend. Das war und ist überall so gewesen, dass Menschen "billige" und "willige" Arbeitskräfte waren - egal ob in der Landwirtschaft oder Industrie. Vielleicht sagt die "Lehenspyramide" etwas? Im Mittelalter wurden (Kriegs-)Dienste mit Land und den darauf befindlichen Leibeigenen "bezahlt". Verlierer gingen leer aus... Das trifft m.M. nach sehr gut auf NI zu, bestes Beispiel William von Orange (dem hier heute noch alles gewidemet ist). Eine anderes Thema ist "Katholizismus", das die Menschen sehr stark bis heute noch prägt. "Seit fruchtbar und mehret euch". Grosse Familien, viele Münder zu ernähren, wenig Arbeit, kein Geld... ein Kreislauf ohne Ende...Und dann kommt womöglich auch noch die Insellage hinzu - Fortschritt geht hier nur sehr langsam. Auch zu bedenken sind die familiären Verbindungen zu den USA. Das bestimmt auch Vieles von dem, was hier an der Tagesordnung ist....

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